6.3 Verfahren
Die städtebauliche und verkehrliche Bewertung der einzelnen Straßenabschnitte basiert neben den quantifizierbaren Merkmalen auch auf qualitativen Faktoren. Eine rein quantitative Bewertung suggeriert zwar ein hohes Maß an Objektivität, auf der anderen Seite würden aber wesentliche Qualitätsfaktoren nicht berücksichtigt, wie z.B. die Gestaltung oder die Aufenthaltsqualität des Straßenraums sowie subjektive Empfindungen der Anwohner. Vor diesem Hintergrund ist deutlich zu machen, dass einige Faktoren durchaus unterschiedlich interpretierbar sind und bei verschiedenen Fachleuten möglicherweiser zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Trotz dieser z.T. subjektiven Methodik hat das Gesamtergebnis dieser Bewertung weitgehend objektiven Charakter. Der Einfluss der subjektiven Faktoren ist vergleichbar gering, sodass die Tendenz trotz Änderung solcher Bewertungsgrößen nahezu gleich bleibt.
Die Bewertung der spezifischen verkehrlichen und straßenraumgestalterischen Situation in Neuss wird mit Hilfe von gestalterischen Konfliktfeldern (Grüngestaltung/Versiegelung, sonstige Gestaltelemente, Gehwegbreiten), verkehrlichen Konfliktfeldern (Trennwirkung, Verkehrsaufkommen) und der jeweiligen Randnutzung durchgeführt. Hierbei werden für die einzelnen Konfliktfelder Bewertungsklassen entwickelt, die im nachfolgenden kurz beschrieben werden. Nach Bewertung der Einzelkriterien werden Mittelwerte für die gestalterischen und verkehrsbedingten Merkmale gebildet und mit der Randnutzung gewichtet. Die sich so ergebende Kennzahl stellt die Qualität der Verträglichkeit dar. Mit Hilfe dieser Qualität werden die bewerteten Straßen in Verträglichkeitsklassen von „gut verträglich“ bis „völlig unverträglich“ eingeteilt.
Gestalterische Konfliktfelder
Grüngestaltung im Straßenraum
Die Ausstattung mit Grün ist das einfachste und wirksamste Mittel zur Gestaltung von Straßenräumen. Sowohl aus städtebaulich-ästhetischen Gründen (Wohnwert und Erlebnisvielfalt einer Straße), als auch für die Verbesserung des Kleinklimas hat die Grüngestaltung eine besondere Bedeutung. Die Bewertung der Verträglichkeit erfolgt anhand der nachfolgend angeführten Einstufung:
- Grünelemente prägen eindeutig den Straßenraum, sie führen zur Unverwechselbarkeit der Straße mit hohem Erlebniswert.
- Grünelemente sind gut wahrzunehmen, sie überwiegen im Erscheinungsbild der Straße gegenüber der technischen Verkehrsanlage.
- Grünelemente heben sich in ihrer Wirkung gegenüber gestalteten Flächen auf, sie sind nicht prägend für das Erscheinungsbild des Straßenabschnittes.
- Grünelemente sind vereinzelt vorhanden.
- Grünelemente fehlen, der Straßenraum ist kahl.
Straßenraumgestaltung
Die Gestaltung des Straßenraumes wird durch mehrere Faktoren beeinflusst, die nur schwer quantifizierbar sind. Die Bewertung der einzelnen Straßenabschnitte in das fünfstufige Bewertungsschema erfolgt durch fachliche Einschätzung im Rahmen der städtebaulichen Bestandsaufnahme. Die nachfolgenden Merkmale, welche die Straßenraumgestaltung beeinflussen, werden untersucht:
Gliederung und Möblierung des Straßenraumes:
Die Gliederung und Möblierung des Straßenraumes hat erheblichen Einfluss auf die Qualität eines Straßenabschnittes. Fehlende Gliederungs- und Möblierungselemente reduzieren die Aufenthaltsqualität und die Attraktivität der Seitenräume. Durch Grünelemente, Straßenbeleuchtung, Gestaltung der Gehweg- und Fahrbahnoberflächen und durch prägende Zaun- und Mauerelemente kann ein Straßenabschnitt abwechslungsreich und individuell gestaltet werden.
Linearität der Straße:
Die Linearität der Straße wird durch Elemente erzeugt, welche die Längsrichtung des Straßenraumes stark betonen. Auffällige Fahrbahnmarkierungen in Fahrtrichtung, das Fehlen von gliedernden Elementen wie Straßenbäumen und Mittelinseln und eine eintönige Gestaltung der Seitenräume tragen zum negativen Erscheinungsbild des Straßenraumes bei.
Dominanz des Kfz:
Die Autodominanz eines Straßenraumes wird durch alle Maßnahmen und technische Einrichtungen bewirkt, die im Zusammenhang mit der Abwicklung des Autoverkehrs stehen, z.B. lineare Fahrbahnmarkierungen, Lichtsignalanlagen, Aufpflasterungen und Schwellen. Durch diese autobezogenen Elemente können Straßenräume in ihrer städtebaulichen Qualität erheblich beeinträchtigt werden. Neben den gestalterischen Elementen wird die Dominanz der Kfz im Stadtbild durch hohe Verkehrsbelastungen und parkende Fahrzeuge deutlich.
Gehwegbreite
Ein weiteres qualitatives Kriterium ist das vorhandene Platzangebot hinsichtlich des Aufenthaltsanspruches. Hohe Fußgängerzahlen lassen auf einen hohen Aufenthaltsanspruch schließen und setzen breitere Gehwegbreiten voraus. Diesbezüglich wird die Verträglichkeit unter Berücksichtigung der verfügbaren Gehwegbreite und der Fußgängerströme fachlich eingeschätzt und in fünf Verträglichkeitsstufen eingeteilt.
Halten und Parken
Mitbewertet wird das Halten und Parken entlang der Gehwege durch folgende Faktoren:
- 1,0 keine Belastung durch Halten und Parken
- 1,1 geringe Belastung durch einseitiges Halten und Parken
- 1,2 geringe Belastung durch beidseitiges Halten und Parken
- 1,3 hohe Belastung durch legales Halten und Parken
- 1,4 hohe Belastung durch legales und illegales Halten und Parken
- 1,5 sehr hohe Belastung durch illegales Halten und Parken
Verkehrsbedingte Konfliktfelder
Trennwirkung
Die Trennwirkung eines Straßenabschnittes ist abhängig von dem Verkehrsaufkommen und der Fahrbahnbreite. Darüber hinaus haben Hindernisse, die das Queren der Fahrbahn erschweren, Einfluss auf die Trennwirkung, z.B. durchgängig parkende Fahrzeuge und Poller mit Absperrketten.
Im Rahmen der Bestandsaufnahme wurde die Ausstattung der einzelnen Straßenabschnitte mit Querungsmöglichkeiten unterschiedlicher Art erfasst. Die Einstufung in die fünfstufige Bewertungsskala erfolgte durch fachliche Einschätzung, wobei hier insbesondere die Abhängigkeit zur vorhandenen Randnutzung, zum Straßenraumtyp und zum tatsächlichen Querungsbedarf berücksichtigt wurde.
Verkehrsaufkommen
Die Belastungswerte jeder Straßenkategorie sind unabhängig von der Länge des Streckenabschnittes in eine Rangliste der stärksten Verkehrsbelastungen eingeteilt worden.
Die folgende Tabelle basiert auf der Einteilung nach Verträglichkeitsklassen aus anderen Städten und ist für die Stadt Neuss angepasst. Da die Qualität des Verkehrsablaufs neben der Verkehrsstärke von unterschiedlichen Kriterien (z.B. Abfolge von Knotenpunkten, Geschwindigkeit) bestimmt wird, ist eine fest definierte Einteilung der Verträglichkeitswerte nicht möglich bzw. kann nicht aus Richtlinien abgeleitet werden. Die Einteilung erfolgt daher nach fachlicher Einschätzung. Die Verkehrsbelastungen entsprechen den Ergebnissen aus dem Verkehrsmodell. Maßgebend ist der am stärksten belastete Abschnitt der Straße. Als Spitzenstunde wird ein Zehntel der Tagesbelastung angesetzt. (Bild 6/1)
Straßenraumtyp | gut verträglich (1) | verträglich (2) | mit Einschränkungen verträglich (3) | unverträglich (4) | völlig unverträglich (5) |
---|---|---|---|---|---|
Bild 6/1: Verkehrsaufkommen [Kfz/Spitzenstunde] | |||||
Hauptverkehrsstraße | < 1.200 | 1.200 – 1.400 | 1.400 – 1.600 | 1.600 – 1.900 | >1.900 |
Sammelstraße | < 400 | 400 – 600 | 600 – 800 | 800 – 1.000 | >1.000 |
Erschließungsstraße | < 200 | 200 – 350 | 350 – 500 | 500 – 650 | >650 |
Randnutzung
Die Einstufung der Nutzungsformen in eine Empfindlichkeitsskala erfolgt nach der folgenden Klassifizierung
- anbaufrei
- Gewerbe mit geringen Anteilen eingelagerter Wohnnutzung
- Mischnutzung im Kernbereich: Wohnen, Einzelhandel, Dienstleistung, Kleingewerbe
- Wohnen mit geringem bis mittleren Geschäftsbesatz
- Wohnen ohne bzw. mit vereinzeltem Geschäftsbesatz