31.07.2002 - Neue archäologische Funde auf dem Neusser Omnibusbahnhof
In den letzten Tagen des 2. Weltkrieges wurde das Altstadtviertel zwischen Brückstraße und Hymgasse durch Bomben fast gänzlich zerstört.
Nach Einebnung des Areals entstand in den Nachkriegsjahren hier der zentrale Omnibusbahnhof. Im Vorfeld einer Neubebauung wird die Fläche des ehemaligen Altstadtquartiers seit März 2002 von einem Team unter Leitung von Sabine Sauer archäologisch untersucht. Zunächst konnten Zeugnisse aus dem letzten Krieg großflächig aufgedeckt werden. So liegt parallel zur Hymgasse am Rand der Grabungsfläche ein langgestrecktes Bunkersystem, ein 22 Meter langer doppelter Panzergraben mit beidseitigen Druckluftschleusen. Mit Schrott verfüllte Bombenkrater und der Fund einer intakten englischen Fliegerbombe zeugen von der letzten alliierten Angriffswelle. Die Überschneidung mehrer Jahrhunderte Reste der Vorkriegsbebauung haben sich am Rand zur Brückstraße erhalten. Hier wurden im 19. Jahrhundert Kamine und Schächte in ältere Keller des 17. Jahrhunderts eingebaut. In der frühen Neuzeit, spätestens ab der Mitte des 17. Jahrhunderts war das Gelände zweigeteilt. Die Immunitätsmauer der Sepulchrinerinnen wiederentdecktIm nördlichen Teil der Platzfläche hatten sich 1654 die Sepulchrinerinnen angesiedelt und ihr Klosterareal mit einer stabilen Immunitätsmauer umfasst. Die Fundamente dieser Mauer wurden, wie bei Neusser Klosterbauten üblich, aus Sparsamkeit nur in Bogenform ausgeführt. Die Grabung erstreckt sich bislang nur auf das Gartenareal der Sepulchrinerinnen. Die Klostergebäude und die Kirche liegen weiter nördlich unter der Platzfläche und sollen später in einer zweiten Kampagne ausgegraben werden. Dokumente klösterlichen SchaffensInnerhalb des Gartenareals konnte ein runder Kuppelbackofen aufgedeckt werden. Seitlich dieses Ofens fand sich ein Model, das zur Herstellung von Hostien gedient hat. Das runde neun Zentimeter große Model zeigt im Negativ eine Darstellung des Abendmahls.Beim Bau der Südostecke der Immunitätsmauer störte offensichtlich ein älterer Keller, dessen Treppe teilweise ausgebrochen wurde. Der Keller aus Tuffen, Kieseln und kleinen Basalten gefertigt, datiert in das 12./13. Jahrhundert und ist offensichtlich infolge der großflächigen Zerstörungen nach dem Stadtbrand im truchseßischen Krieges 1586 mit Dachziegelschutt und Hausrat verfüllt worden. Aus diesem Bereich werden zur Zeit (Juli 2002) große Mengen an Keramik aus der Zeit kurz vor 1600 geborgen. Die Neusser Infrastruktur im 17. JahrhundertAußerhalb der Immunitätsmauer schloss sich in südlicher Richtung eine rund vier Meter breite mit Kies gepflasterte Straße an, die das Klosterareal von der südlich angrenzenden, kleinteiligen Wohnbebauung trennte. Diese Straße ist allerdings jüngeren Ursprungs und erst im Zuge der Parzellierung des Klosterareals im 17. Jahrhundert entstanden. Beim Tiefergehen im Straßenbereich konnte ein Ofen des 15. Jahrhunderts freigelegt werden, der zeigt, dass hier im Mittelalter keine öffentliche Verkehrsfläche war. Im südlich an diese Straße angrenzenden Areal lassen sich die Reste der mittelalterlichen Besiedlung erkennen. Der bisher älteste Fund von Neuss wurde hier entdeckt Zur Brückstraße hin standen die bereits im 12./13. Jahrhundert unterkellerten Wohn- und Lagerhäuser. An der Rückseite schlossen sich lang gestreckt Hofparzellen an, die teilweise überbaut waren.So ließ sich im Originalbefund der Boden einer Kochnische mit Herdstelle aus dem 13. Jahrhundert freilegen. Seitlich der Herdstelle war ein großes Vorratsgefäß, eine so genannte Elmpter Amphore in den Boden eingetieft worden und noch insitu erhalten. Eine weitere Ofenstelle, die allerdings nicht zum Kochen, sondern handwerklich genutzt wurde, fand sich am südlichen Rand der Grabungsfläche; dieser Befund aus dem 10./11. Jahrhundert gehört zu den bislang ältesten, mittelalterlichen Befunden in Neuss. Der Bahnhof als archäologische FundgrubeEine außerordentliche Bedeutung gewinnt die Grabung auf dem Omnibusbahnhof durch das massenhafte Auftreten von keramischem Fundmaterial aus der Zeit zwischen dem späten 9. und dem 11. Jahrhundert. Ab einer Tiefe von rund 1,2 Metern unter der Oberfläche fanden sich auf der gesamten Fläche Bodenschichten, die stark mit Scherben von Badorfer Reliefbandamphoren und Pingsdorfer Gefäßen durchsetzt waren. Eine solche Fundkonzentration ist bislang einzigartig für das Neusser Stadtgebiet und wirft ein erstes Licht auf die Anfänge der mittelalterlichen Händlersiedlung. Funde aus der Spätantike und der fränkischen Zeit fehlen bislang; auch das 8. und 9. Jahrhundert ist in den Keramikspektren nur dünn vertreten, obwohl Neuss in den historischen Quellen bereits 877 als königliche Zollstelle erwähnt wird. Doch war die Händlersiedlung der damaligen Zeit offensichtlich noch nicht entwickelt. Neuss als HandelszentrumZu einer explosionsartigen Entwicklung der Händlersiedlung kommt es nach Ausweis der Keramik erst zum Ende des 9. Jahrhunderts und zu Beginn des 10. Jahrhunderts - also nach den Normannenstürmen. Aus der Chronik des Regino von Prüm wissen wir, dass Neuss, ein befestigter Ort, ein castellum, mit anderen rheinischen Städten im Jahr 881 zerstört wurde. In der Folgezeit war Neuss offensichtlich Nutznießer dieser Normanneneinfälle, die auch die großen Handelsemporien im Rhein/Maasmündungsgebiet nicht verschont hatten. Dort brach nach wiederholten Normannenstürmen der Handel zusammen. Nach der Befriedung und Stabilisierung der Rheinlinie in den neunziger Jahren des 9. Jahrhunderts scheinen sich die Handelsströme und niederlassungen auch den weiterhin unruhigen, küstennahen Gebieten in die Rheinschiene verlagert zu haben. Neuss hat von diesen Vorgängen profitiert. Besondere FundstückeDas bisherige Fundmaterial zeigt schon einige ausstellungswürdige Besonderheiten. So fanden sich unter den hochmittelalterlichen Keramiken des 10./11. Jahrhunderts auch einige Stücke mit einer opaken, gelben Glasur, die für diese frühe Zeitstellung außergewöhnlich ist. Hier handelt es sich um hochwertige Importe aus dem maasländischen Andenne.Aus dem Hochmittelalter und Spätmittelalter liegt ein Sortiment von Spinnwirteln vor. Diese platt gedrückten, durchlochten Kugeln wurden auf einen Stab gesteckt und unter kreisenden Bewegungen zum Spinnen von Flachs und Wolle benutzt. Ebenfalls der Textilverarbeitung zuzuordnen ist ein runder, einseitig abgeflachter Brocken aus Glasfluss aus dem 11. Jahrhundert. Mit solchen Glättsteinen wurde die Oberfläche von Textilien nach dem Weben geglättet. Unter einer Glutglocke aus dem 12. Jahrhundert wurde über Nacht die Herdglut geschützt. Eine Besonderheit sind die Bruchstücke von einem Pilgerhorn, auch Aachhorn genannt, aus dem späten Mittelalter. Wenn am Ziel der Pilgerfahrt die heiligen Reliquien dem Volk gezeigt wurden, bedankten sich die Pilger mit einem ohrenbetäubenden Lärm, indem sie mit Keramikhörnern tröteten.*