11.11.2010 - Wirtschaftsprognosen – teilweise Unsinn, aber notwendig

Neuss (PN/Sev). Dicke Freunde werden sie wohl nicht mehr – der Gründungsdirektor des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen, Professor Rudolf Hickel und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung.

Hickel, der jetzt im Sparkassenforum in der Reihe „Neusser Wirtschaftstreff“ einen Vortrag über Sinn und Unsinn von Wirtschaftsprognosen hielt, wählte als Beispiel für misslungene Konjunkturprognosen die jährlichen Voraussagen des Sachverständigenrates. Allerdings berichtete er auch anschaulich über die Schwierigkeiten der Prognostiker, in einer von der Globalisierung geprägten, sich im Umbruch befindlichen Weltwirtschaft tragfähige Annahmen für ihre Prognosen zu finden.

In der von der Neusser Wirtschaftsförderung organisierten, gut besuchten Veranstaltung erläuterte Hickel, warum die Forschungsinstitute und der Sachverständigenrat sowohl den Konjunktureinbruch durch die Finanzkrise als auch den aktuellen Aufschwung unterschätzten. Beim Konjunktureinbruch wurde die Krisenanfälligkeit der entfesselten Finanzmärkte nicht gesehen. Bei der Unterschätzung des aktuellen Aufschwungs wurden die Wachstumsimpulse aus dem Ausland, die Ausrüstungs- und Bauinvestitionen, die Expansionswirkung der Konjunkturprogramm und die Flexibilität der Unternehmen zum Halten der Stammbelegschaft zu niedrig eingeschätzt. Aber auch das hat Methode und hängt mit der Grundannahme der Volkswirtschaftslehre zusammen, rationales Handeln zu unterstellen und Prognosen als Fortschreibung bekannter Entwicklungen zu begreifen. Professor Hickel stellte dar, dass Auswüchse wie im modernen „Kasinokapitalismus“ und Unternehmensentscheidungen „aus dem Bauch heraus“ sich den Prognosen entziehen. Er plädierte für eine Abkehr von der heute noch verbreiteten Punktprognose (zum Beispiel 3,5 Prozent Wachstum) und für eine verstärkte Nutzung von Szenarien und Bandbreiten.

Letztlich haben sich die politikberatenden Institute in der Einschätzung der jüngsten Wirtschafts- und Finanzmarktkrise systematisch geirrt, so dass die Politik auf sich allein gestellt war und durch Maßnahmen wie Konjunkturprogramme, Bankenrettungsfonds, Wirtschaftsfond, Verlängerung Kurzarbeitergeld die Grundlagen für eine erfolgreiche Bewältigung der Krise gelegt hat. Für die Zukunft wird es nach Hickel darum gehen, strenge Spielregeln zur Bändigung der Finanzmärkte einzuführen und die Banken auf ihre den Kunden dienenden Funktionen zurückzuführen. Er plädierte für den Abbau prekärer Beschäftigungsverhältnisse und die Einführung von Mindestlöhnen, für die Stärkung der Binnenwirtschaft durch Steigerung der Binnennachfrage, für die Stabilisierung sozialer Sicherungssysteme, die Stärkung der Infrastruktur und den ökologischen Umbau der Wirtschaft als Entwicklungsstrategie.
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