Römische Geschichte zum Schmecken
2.000 Jahre alte Kuchenform rekonstruiert – Opferkuchen nach original römischem Rezept gebacken
Neuss ist um ein weiteres historisches Alleinstellungsmerkmal reicher: Anhand eines 1992 in Gnadental gefundenen 2.000 Jahre alten Fragments einer römischen Backform wurde die Form rekonstruiert – und ein Libum (römischer Opferkuchen) anhand eines überlieferten Originalrezeptes nachgebacken. Dr. Carl Pause, Archäologe des Clemens Sels Museum Neuss, meint dazu: „Damit haben wir es ermöglicht, römische Geschichte zu schmecken.“
Am Anfang stand eine wenige Zentimeter große Scherbe einer Backform, die Teile einer Inschrift, zweier Köpfe und eines Stabes zeigt. Für Pause war schnell klar: Zu sehen war der römisch-griechische Weingott Dionysos, klar erkennbar am Tyrsosstab (Holzstab mit Wein- oder Efeuranken) und einem Kranz aus Efeu oder Weinlaub auf dem Kopf. Aufgrund ähnlicher Darstellungen wurde der zweite Kopf als Silen aus dem Gefolge des Dionysos erkannt. Dafür sprechen auch die Reste der Inschrift. Die kürzeste Interpretationsmöglichkeit, „COMMISSIO LIBERI ET SILENI“, „Zusammenkunft (oder Wettkampf) des Liber (Pater) und des Silen“ spricht ebenfalls dafür: „Liber Pater ist eine lateinische Form von Dionysos. Wahrscheinlich geht es schlicht um ein Wettrinken“, so Pause. Und hier schließt sich der Kreis, denn das Libum wurde anlässlich des Festtages „Liberalia“ gebacken. Bei diesem Fest am 17. März empfingen die jungen Männer im Alter von 14 bis 17 Jahren ihre Männertoga und galten fortan als Erwachsene. Dass bei den Feierlichkeiten auch gut getrunken wurde ist eine naheliegende Vermutung.
Doch wie sah die gesamte Backform aus? Um dieser Frage zu beantworten holte sich Pause die Hilfe der Kommunikationsdesignerin Susanne Lechner. Anhand des Bruchstücks hat sie die Form zunächst zeichnerisch und dann in Ton rekonstruiert. Das Motiv zeigt einen sitzenden Dionysos, der einen Panther füttert. Neben ihm hockt ein Silen mit einer Kithara (Leier). Der sitzende Dionysos (oder Liber Pater) ist der Darstellung auf einem Sarkophag aus dem Sepolcro dei Pancrazi entlehnt, der in den Vatikanischen Museen aufbewahrt wird. Der Silen mit der Kithara erscheint auf einer Wandmalerei im Venustempel von Pompeji.
Und wie schmeckte so ein Libum? Auch dieser Frage ging Pause nach und wandte sich dafür an den Neusser Konditormeister Michael Wegel. Dem konnte er jedoch wenig mehr an die Hand geben als ein vom römischen Schriftsteller und Politiker Marcius Porcius Cato (der Ältere) überliefertes Grundrezept. In seinem Werk „Über die Landwirtschaft“ schrieb er: „Ein Libum mache auf diese Weise: Zerreibe zwei Pfund Käse in ei¬nem Mörser; wenn er fein zerrieben ist, gib ein Pfund sehr weißes Weizenmehl oder, wenn du es zarter willst, nur ein halbes Pfund Weizenmehl dazu hinein und vermische es gut mit dem Käse; gib ein Ei hinzu und mische es gut mit hinein. Daraus forme einen Laib, lege Blätter darunter, backe es langsam auf einem heißen Herd un-ter einem Deckel.“
Erste Versuche waren dabei nicht sehr erfolgreich: „Rein nach dem überlieferten Rezept war der Kuchen nicht sehr stabil und zerbröselte schnell“, so Wegel. Daher half er mit mehr Ei und etwas Öl nach. Neben der Grundform ersann er zudem zwei weitere Variationen: Eine mit Kräutern und eine mit Honig und Mohn. Übrigens die „klassisch römische“ Art zu süßen. Denn Zucker in seiner reinen Form kannten die Römer noch nicht.
Dr. Carl Pause, Clemens Sels Museum Neuss, mit dem gefundenen Fragment, Konditormeister Michael Wegel mit seinen Libum-Variationen und Kommunikationsdesignerin Susanne Lechner mit der rekonstruierten Form.