26.10.2023 - Neue archäologische Entdeckungen am Neusser Welterbe
130 Befunde weisen auf Siedlungsaktivitäten zwischen dem 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. hin
In unmittelbarer Nähe des Reckbergs im Stadtteil Uedesheim wurden über 130 Befunde ausgegraben, die auf Siedlungsaktivitäten zwischen dem 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. datiert werden. Durch die Ausgrabungen wurde eine neue Siedlungsfläche am Reckberg nachgewiesen, die zur weiteren Erforschung des UNESCO-Welterbes „Grenzen des Römischen Reiches – Niedergermanischer Limes“ beiträgt.
Untersuchungen aufgrund von Denkmalschutzbestimmungen
Notwendig geworden war die archäologische Untersuchung der durch den Deichbau betroffenen Flächen aufgrund strenger Denkmalschutzbestimmungen. Neben bekannten Oberflächenfunden aus der römischen Kaiserzeit zeichnet sich die Fläche durch die Nähe zum bekannten römischen Kleinkastell am Reckberg und ihre allgemeine Position am Limes aus. „Der Reckberg ist eine der wichtigsten römischen Fundstellen in Neuss. Dort standen zur Römerzeit ein Wachturm und später ein römisches Kleinkastell. Sie sind Teil des UNESCO-Welterbes „Grenzen des Römischen Reiches – Niedergermanischer Limes“. Da die Flächen im Wald liegen oder landwirtschaftlich genutzt werden, gibt es nur wenige Erkenntnisse aus Grabungen hier. Diese Ausgrabung in unmittelbarer Nähe des Reckbergs hat damit eine außergewöhnlich hohe Bedeutung für die Erforschung dieses Ortes“, erklärt Stadtarchäologe Till Lodemann.
Durchgeführt werden die Untersuchungen von der Firma Goldschmidt Archäologie & Denkmalpflege unter der Leitung des Archäologen Dáire Leahy. Zudem wird die Maßnahme vom LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland fachlich überwacht. Die Arbeiten begannen im Sommer 2022, wurden über den Winter 2022/2023 pausiert und im Frühling 2023 fortgesetzt. Die Grabungen sollen planmäßig in diesem Winter enden.
Ausgrabungen legen rund 130 Befunde frei
Grabungsleiter Leahy stellt fest: „Bereits zum Ende der ersten Ausgrabungskampagne wurden die ersten römischen Befunde freigelegt und dokumentiert. Dabei handelt es sich um Gräber, also Brandbestattungen mit zum Teil vollständig erhaltenen Beigabengefäßen aus Keramik und Glas. Da römische Gräber immer außerhalb des Siedlungsbereiches angelegt wurden und die ersten Siedlungsgruben wenige Meter westlich erfasst werden konnten, ist klar, dass an dieser Stelle die östliche Grenze dieser Siedlung erfasst wurde.“
Jenseits dieser Grenze beziehungsweise innerhalb der Siedlung konnte eine deutliche Verdichtung der archäologischen Befunde und somit eine intensive Nutzung der Fläche zur römischen Kaiserzeit nachgewiesen werden. Anhand der Funde werden diese Siedlungsaktivitäten in den Zeitraum zwischen dem 2. und dem 3. nachchristlichen Jahrhundert datiert.
Zu den über 130 Befunden innerhalb des Siedlungsbereiches gehören zahlreiche Gruben, in denen in vielen Fällen Siedlungsabfälle entsorgt wurden, Pfostengruben und fünf Brunnen. Zu den entsorgten Abfällen gehören Fragmente der zu erwartenden siedlungstypischen Keramikgefäße: Trinkgeschirr, Koch- und Vorratsgefäße sowie Amphoren, in denen vermutlich Öl oder Wein aus dem Mittelmeerraum importiert wurden. Ebenfalls entsorgt wurden Bleireste, welche auf eine Produktion vor Ort oder zumindest auf eine Verarbeitung des Metalls hinweisen. Bislang konnten noch keine Wohngebäude der hier lebenden Menschen gefunden werden.
Dáire Leahy kann sich trotzdem ein Bild von der Siedlung machen „Da wir bislang keine Mörtelreste und nur wenige Steine gefunden haben, gehen wir von fachwerkartigen Bauten aus. Diese wurden zum Teil mit Ziegeln bedacht, die Nutzung von Dachschiefer konnte auch belegt werden. Ein gewisser Luxus ist anhand von Hohlraumziegeln und Bodenziegeln belegt, welche eine Fußboden- und Wandheizung (Hypokaustanlage) nahelegen.“
Die genaue Art der Siedlung ist bislang unklar. Ob es sich um eine militärische oder zivile Siedlung handelt und welche Beziehung die Siedlungsstelle zum Kleinkastell und zur vermuteten Rheinüberquerung in der Nähe haben könnte, finden die Archäolog*innen hoffentlich in den nächsten Wochen heraus.
Die neueste Entdeckung könnte Antworten auf diese Fragen bringen: Ein römischer Spitzgraben ist möglicherweise mit der Befestigungsanlage auf dem Reckberg in Verbindung zu bringen. „Durch die Ausgrabung haben wir eine völlig neue Siedlungsfläche am Reckberg gefunden, die zur weiteren Erforschung der Welterbestätte beiträgt“, freut sich die Archäologin Joanna Chanko von der Stadtarchäologie Neuss.
Auch durch die gute und frühzeitige gemeinsame Planung mit dem Deichverband Uedesheim konnte für die Ausgrabungen im Vorfeld der eigentlichen Bauarbeiten am Deich ausreichend Zeit eingeplant werden, so dass nach Abschluss der Grabungsarbeiten dem Deichbau nichts mehr im Wege stehen wird.
Fotos für Ihre Berichterstattung finden Sie in unserem Bildarchiv. (Grabungsleiter Dáire Leahy von der Firma Goldschmidt Archäologie &
Denkmalpflege präsentiert eine Auswahl der Befunde).