10. April 2025

The Unboxing Experience

12. April bis 28. September 2025 | Clemens Sels Museum Neuss

Das Clemens Sels Museum Neuss ist nicht nur ein Ort mit einer in Deutschland einmaligen Kunstsammlung. Diese reicht von der Kunst des Mittelalters und der Niederländer über die Präraffaeliten und Symbolisten bis zu den Expressionisten, den Naiven und der Farbmalerei. Besonders ist auch, dass Geschichte und Gegenwart des Museums vorrangig in der Verantwortung von Frauen lagen: 1908 stiftete Pauline Sels, die Witwe von Dr. Clemens Sels, der Stadt Neuss testamentarisch 250.000 Mark für die Errichtung eines Museumsgebäudes und die gesamte Sammlung des Ehepaars. 1912 konnte das neue Museumsgebäude der Öffentlichkeit übergeben werden. Durch zwei Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg wurde das Museum fast vollständig zerstört. 1949 wurde Dr. Irmgard Feldhaus als Direktorin berufen, unter deren Ägide das Museum bereits ein Jahr später im Obertor wiedereröffnet werden konnte. Sie richtete in den kommenden Jahren die Sammlung des Hauses neu aus, die dem Museum bis heute ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Museumslandschaft verleiht. Denn während die Museen im Umfeld sich vor allem auf das Sammeln der Klassischen Moderne konzentrierten, sammelte Dr. Irmgard Feldhaus nicht selten „gegen den Strom“ und erwarb ab den 1950er Jahren für das Clemens Sels Museum Neuss insbesondere Meisterwerke des Symbolismus, dessen Kanon bis heute vor allem durch männliche Künstler geprägt ist. Die Verantwortung für das Haus lag nachfolgend mit den langjährigen Direktorinnen Dr. Christiane Zangs, Dr. Gisela Götte und aktuell Dr. Uta Husmeier-Schirlitz auch weiterhin in den Händen von Frauen.

In der Dauerausstellung des Museums stammt – wie in so vielen Museen weltweit – der Großteil der Werke von Künstlern. Der Bestand des Neusser Hauses umfasst jedoch ebenso Arbeiten von über 130 nationalen und internationalen Künstlerinnen, die bislang kaum oder gar nicht sichtbar waren. Schon 1971 hatte die US-amerikanische Kunsthistorikerin Linda

Nochlin in ihrem Essay „Why Have There Been No Great Women Artists?“ auf die Unsichtbarkeit von Künstlerinnen in der westlich geprägten Kunstszene hingewiesen. Mit dem Ausstellungsprojekt „The Unboxing Experience“ möchte das Neusser Museum diese „Show Gap“ von weiblichen Künstlerinnen nun schließen. Nach der gezielten Präsentation von weiblichen Positionen im Rahmen von Dauerausstellungen wie „Comeback – Gerettete Meisterwerke neu entdecken“ (2022/2023) mit Arbeiten von Rachel Ruysch, Angelika Kaufmann, Dorothea Tanning oder Seraphine Louis und auch von Sonderausstellungen zu Claudia Desgranges, Susanne Stähli oder Rita Rohlfing – stand ein ausschließlicher Fokus auf die Künstlerinnen in der Sammlung des Clemens Sels Museums Neuss noch aus. So widmet sich das Projekt erstmals intensiv den Werken von Frauen über die Jahrhunderte hinweg und zeigt Exponate, die bislang kaum oder gar nicht sichtbar waren. Den Ausgangspunkt des Ausstellungsprojekts „The Unboxing Experience“ bilden somit die im Verborgenen des Depots verbliebenen Werke von Künstlerinnen, die (wieder-)entdeckt und neu gewürdigt werden sollen.

Der Ausstellungstitel orientiert sich an dem aktuellen Trend der „Unboxing-Videos“ aus der Netzkultur. Der Begriff „Unboxing“ (Engl. „Auspacken“) beschreibt das Phänomen von Online-Videos, in denen ein Objekt zum ersten Mal aus seiner Verpackung genommen wird: Die Vorfreude und Spannung, das zelebrierte Entdecken und die intensive Betrachtung des Objekts sind die zentralen Momente, die die Ausstellung „The Unboxing Experience“ aufgreift und in einen neuen und überraschenden Kontext stellt.

Das Ausstellungsprojekt wird kuratiert von Lara Bader (Deutschland) und Marlene Kurz (Schweiz), Stipendiat*innen von Residence NRW⁺ 2024/2025. Die Entdeckungs- und Forschungsreise zu den weiblichen Positionen in der Museumssammlung ist angelegt als Work in Progress und teilt sich in zwei Phasen: Phase eins mit dem Titel „Do You See Her?“ beginnt am 12. April 2025 als Bestandsaufnahme und holt Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen aus dem Depot. Das Ausstellungsdesign folgt der Idee des Auspackens, des Entdeckens und des Hervorholens, indem die an einen Open Storage angelehnte Präsentation die Werke an der Wand gelehnt oder auf Depotregalen stehend, an Lagergitter fixiert oder noch in halbgeöffneten Kisten verpackt zeigt: Aus dieser speziellen Inszenierung resultiert nicht nur ein Überblick über die verborgenen Schätze des Hauses, sondern auch eine Einladung an das Publikum, an den ersten kuratorischen Schritten einer Ausstellung – von der Fragestellung über die Werkauswahl bis hin zur Präsentation – teilzuhaben und die beiden Kuratorinnen auf ihrer „Unboxing Experience“ zu begleiten. Dabei geht es um Fragen wie: Welche Werke schlummern im Depot? Wie viele davon wurden bisher nicht gezeigt? Warum wurden die Werke gesammelt und von wem?

Die Werkauswahl reicht von namhaften bis hin zu wenig bekannten Künstlerinnen. Gezeigt werden unter anderem: Minna Ennulat (1901, Baltschdorf/Ostpreußen–1985 Hadamar, D), Katharina Grosse (* 1961 in Freiburg im Breisgau, D), Marcia Hafif (1929 Pomona (CA)–2018 Laguna (Ca), USA), Käthe Kollwitz (1867, Königsberg, Preußen–1945, Moritzburg, D), Séraphine Louis (1864 Arsy (Oise)–1942 Clermont (Oise), F), Sophia Marx (1896 Frauenberg–1985, D), Filomena Robakowska (1902–1981 Witonia, PL), Rachel Ruysch (1664 Den Haag–1750 Amsterdam, NL), Renée Sintenis (1888 Glatz–1965 Berlin, D), Susanne Stähli (*1959 München, D) oder auch Thamara Voltz (1896 Berlin, D–1985 Klosters, CH).

Die hauseigenen Exponate werden ergänzt durch Werke der beiden Künstlerinnen Pauline Hafsia M’barek (*1979 in Köln, D) und Freya Hattenberger (*1978 in Offenbach am Main, D): Im Foyer des Clemens Sels Museums Neuss stimmt die Videoarbeit "Semiophoren“ (2013) von Pauline Hafsia M’barek auf die taktile Erkundung von musealen Objekten ein. Vor dunklem Hintergrund sind zwei Hände in weißen Handschuhen zu sehen, die verschiedene, geschwärzte Objekte vorsichtig betasten. Die Konturen der Objekte werden erst durch die Berührung für die Betrachtenden erkennbar.

Demgegenüber könnte man das Objet Trouvé „MIRROR BOX“ (2023) von Freya Hattenberger zunächst für eine weitere Transportkiste im Raum halten, die Teil der Ausstellungsinszenierung sind. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich die Holzkiste jedoch als interaktives Kunstobjekt mit einem Spiegelkabinett in seinem Inneren: Die Besucher*innen sind eingeladen, in die Kiste hineinzuschauen und sich vielfach inmitten des musealen Umraums gespiegelt zu sehen. Das auf der Außenseite der Kiste aufgedruckte „FRAGILE“ (Engl. „Zerbrechlich“) kann dabei sowohl als Hinweis auf den Spiegel als auch auf die eigene Befindlichkeit oder die fragilen Strukturen der Repräsentation von Künstlerinnen im Ausstellungskontext gelesen werden. An der Eröffnung von „The Unboxing Experience – Phase 1: Do You See Her“ am 11. April 2025 präsentiert Freya Hattenberger unter Einbezug ihrer „MIRROR BOX“ eine eigens für das Projekt entwickelte Performance, die den künstlerischen Fokus auf die Darstellung und Erforschung von weiblichen Identitäten und ihren Erfahrungswelten richtet.

Für die Düsseldorfer Nacht der Museen am 26. April 2025 wurde die Künstlerin Talaya Schmid (*1983 in Zürich, CH) eingeladen, ihre eigens zur Ausstellung konzipierte Performance „Sigh Song for Sisters“ (Engl. „Seufzer-Lied für Schwestern“) zu zeigen. Die Schweizer Künstlerin thematisiert das Moment der Emotion und tritt mittels Seufzern in Dialog mit ausgesuchten Werken der Sammlung.

Nach der Standortbestimmung und Bestandsaufnahme der ersten Phase vertieft Phase zwei mit dem Titel „Resonating Voices“ ab dem 26. Juni 2025 den Blick auf den Bestand des Hauses. Die beiden Kuratorinnen Lara Bader und Marlene Kurz setzen ihre Forschungsergebnisse zu einzelnen Künstlerinnen und ihren Werken fort und stellen ausgewählte Exponate in Dialog mit Arbeiten von internationalen Gegenwartskünstler*innen. Durch die Gegenüberstellung mit aktuellen Diskursen werden neue Kontexte hergestellt, überraschende Verbindungen gezogen und bewusst Brüche provoziert.

Das zweiteilige Ausstellungsprojekt „The Unboxing Experience“ möchte die Bedeutung und den Stellenwert der Künstlerinnen für die Sammlung des Clemens Sels Museums Neuss sichtbar(er) machen. Es fügt sich dabei ein in den aktuellen Diskurs vieler Museen national und international, die ihre Depotbestände und Ausstellungskonzepte kritisch befragen. Dieses ist ein zentraler und überfälliger Schritt in Richtung eines inklusiveren Kunstverständnisses, das die Stimmen von Künstlerinnen endlich in den Vordergrund rückt und ihre Bedeutung für die Kunstgeschichte von der Vergangenheit bis heute würdigt. Dabei ist das Museumspublikum eingeladen, diese Entdeckungsreise mitzugehen.

Neben dem Projekt für das Clemens Sels Museum Neuss sind die beiden Kuratorinnen Lara Bader und Marlene Kurz als Stipendiat*innen von Residence NRW⁺ 2024/2025 eingeladen, im Anschluss eine Ausstellung mit dem NAK Neuer Aachener Kunstverein zu entwickeln und umzusetzen. Das Projekt findet statt im Rahmen von Residence NRW⁺, ein Stipendienprogramm für Künstler*innen und Kurator*innen, das mit wechselnden Museen, Kunsthallen und Kunstvereinen in ganz NRW kooperiert. Residence NRW⁺ ist ein Programm der Kunsthalle Münster, eine Einrichtung der Stadt Münster, www.residencenrw.de.

KURATORINNEN: Marlene Kurz und Lara Bader

ERÖFFNUNGEN
Eröffnung Phase 1: Do You See Her?
Freitag, 11. April 2025, 18 Uhr
mit einer Performance von Freya Hattenberger

Eröffnung Phase 2: Resonating Voices
Donnerstag, 26. Juni 2025, 18 Uhr
in Anwesenheit der eingeladenen Gegenwartskünstler*innen

AKTIONSTAGE
Unboxing Feld-Haus – Ein Blick ins Depot
Sonntag, 13. April 2025, 11.30 bis 16 Uhr im Feld-Haus – Museum für Populäre Druckgrafik

Düsseldorfer Nacht der Museen
Samstag, 26. April 2025, 19 bis 24 Uhr im Clemens Sels Museum Neuss
„Sigh Song for Sisters“ –  Performance der Schweizer Künstlerin Talaya Schmid zur Sonderausstellung “The Unboxing Experience”